Das Geistersonett

Ein Sonett (von lat. sonus‚ „Klang, Schall“) ist ein Klinggedicht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in unterschiedlich lange Strophen eingeteilt sein können. Bei einem Sonettenkranz (von lat. corona, „Kranz“) handelt es sich um einen Gedichtzyklus, in der Regel aus 14 Sonetten geflochten, bei dem die letzte Verszeile einer Sonette zugleich die erste der darauffolgenden ist. Das Meistersonett, ein inhärentes 15. Sonett, welches außerhalb (bzw. innerhalb) des Kranzes liegt, besteht zusammenfassend und in unveränderter Reihenfolge aus allen Anfangs- und Endzeilen der Einzelsonetten.

Das titelgebende Geistersonett soll sich nunmehr aus den beiden Meistersonetten von 28 Einzelsonetten (14 + 14) ergeben. Klingt gruselig, ist aber bloß gruselig viel Arbeit: Es geht um ein lyrisches Mammutprojekt aus dem Jahre 2012, das allerdings der Revision bedarf, um unter kunstrichtigdenken veröffentlicht zu werden. Insoweit ist dieser Hinweis bloß ein Denkzettel.

Im Folgenden nun zwei bereits ausgereifte Sonette aus der Feder des Betriebsinhabers. Das experimentelle Polygonett (ein verkürzter Sonettenkranz, bei dem das Heptagonett ein Meistersonett darstellt) erschien am 01.09.2013 in der Anthologie „So (ne) Nette: Lyrische Poesie der Gegenwart im Sonette-Gewand“; Chiliverlag.


Sonett: Das Herz der Spinne

Die Spinne, die zwischen den Balken gehangen, 
Erbeutete prächtiges Leben.
Ein fröhliches Herz war ihr klopfend soeben
Verträumt in die tödliche Falle gegangen.

Das Herz überschlug sich, die Spinne vertäute
Den Rhythmus mit klebriger Seide.
Doch dadurch geschah etwas Großes für beide:
Sie lernten sich lieben und tun es noch heute.

Im Tango der ewigen Unstimmigkeiten
Verstreichen die Jahre wie Schätze;
Gefühl und Gedanke in goldener Einheit.

Sie lassen sich treiben im Sog der Gescheiten
Und weben die herrlichsten Netze
Als Roharchitekten der Edelsteinzeit.

Polygonett: Der Mann, der dies dachte

                                                                    
Sonett I

Ein Auge des Netzes zertrümmert
Das Bild eines sterbenden Schwanes.
Ein Leben, ein gänzlich vertanes,
Beendet sich selbst, denn es wimmert:

„Ich fühle des Irrsinnes Randes!“
Der Mann, der dies dachte, durchtrennte
Bei zitternder Kraft seiner Hände
Die Adern zum Hals des Verstandes.

Ein Blutschwall wie sämige Suppe
Gerann auf dem Weg zu den Leisten
Und bildete Krusten dahinter.

Er glich einer farblosen Puppe;
Ihn ängstigte sehr, ja, am meisten
Die Realität seiner Kinder.

Sonett II

Die Realität seiner Kinder
Bestand nur aus Regen und Bögen.
Sie wusste nichts von dem Vermögen,
Der Bombe, dem Spiel und dem Zünder.

Der Mann, der dies dachte, erkannte,
Wie würdelos er sich davonstahl.
Die Schuld traf ihn hart wie Beton/Stahl,
Weil Reue zu spät in ihm brannte.

Die Frau, die er liebte, sie hatte
Den Sex seiner Spielsucht verändert.
Er schwor ihr die ewigen Sätze.

Als Vater und treuloser Gatte
Verfiel er dem heiligen Nennwert.
Das Bild ist ein teuflischer Götze. 

Sonett III

Das Bild ist ein teuflischer Götze.
Im Farbrausch verliert es an Klarheit,
Verschmiert die Essenzen der Wahrheit
Und schlägt sie in goldene Netze.

Die Frau war schon immer im Bilde;
Sie weiß um die Macht der Verblendung.
Ihr Wesen ist pure Vollendung,
Geschwungene Linie und Milde.

Die Kurve als klare Ästhetik
Der weiblichen Architekturen,
So kunstvoll ins Weltbild gezimmert.

Dagegen die kubische Metrik
Der männlichen Strecken und Spuren:
Das Herz in der Brust, es verkümmert.

Tetragonett

Das Herz in der Brust, es verkümmert,
Wo nur der Verstand sich bereichert,
Damit es die Lüge auch leicht hat,
Indes sich das Unheil verschlimmert.

Das wusste der Mann, der dies dachte,
Als ihn seine Frau überführte.
Jetzt sah er sein Herz, weil er spürte,
Welch tobenden Sturm es ihm brachte:

Er hatte die eigene Ehe
Mit einer Mätresse geschändet;
In Wollust, in rasender, blinder!

Erotik orgasmischer Höhe
Erzeugt einen Rausch und verendet
Im Auge des Apfels der Sünder.

Pentagonett

Im Auge des Apfels der Sünder
Verlaufen die Farben zu Gräue,
Und hier trägt das Ego aufs Neue
Den schwärzesten aller Zylinder. 

Der Mann, der dies dachte, begriff nun
Die Folge von Kausalitäten.
Er fing wie ein Kind an zu beten
Und hoffte auf göttliches Zutun. 

Doch fraß ihn die Schuld seiner Taten,
Er fühlte sich schlecht und verstoßen.
Ihm fehlten die ewigen Sätze. 

Denn Weisheit erklärt sich auf Raten.
Vorm Tod eines heldenhaft Großen
Rotieren die Kreise wie Klötze.

Hexagonett

Rotieren die Kreise wie Klötze,
Sieh hin und du siehst Symmetrie.  
Denn Gleicheit ist gültig, doch nie
Mach Gleichgültigkeit zum Gesetze! 

Der Mann, der dies wusste, zerbrach dran
Und starb in dem Sog seiner Schande,
Wodurch sich ein Tod nur verschlimmert. 

„Ach, hätt' ich doch nur irgendwann
(Ich sah mich dazu außer Stande)
Mein Auge des Netzes zertrümmert.“

Heptagonett

Ein Auge des Netzes zertrümmert
Die Realität seiner Kinder;
Das Bild ist ein teuflischer Götze.

Das Herz in der Brust, es verkümmert.
Im Auge des Apfels der Sünder
Rotieren die Kreise wie Klötze.
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